Ein Vierteljahr nach Einführung des flächendeckenden Mindestlohns (ML) ist es an der Zeit für eine erste Bestandsaufnahme zur Situation im Taxengewerbe.
Nachdem mit dem schwarz-roten Koalitionsvertrag die Einführung des ML beschlossene Sache war, hätte man eigentlich auf Seiten der Taxenunternehmer eine gewisse Betriebsamkeit erwarten können. Schließlich ging es darum, die Betriebe auf die neuen gesetzeskonformen Abrechnungen vorzubereiten. Als die Einführung des ML konkrete Formen annahm, setzte stattdessen ein Heulen und Wehklagen über die sprunghaft steigenden Personalkosten ein, die von den erzielbaren Umsätzen nicht zu decken sein würden.
Der BZP forderte spontan eine massive Anhebung der Taxentarife um 25% und malte gar das Schreckgespenst von massenhaften Entlassungen von Mitarbeitern. Von etwa einem Viertel der in Deutschland arbeitenden Taxifahrerinnen und Fahrer, sprich ca. 50.000, war die Rede. Hektisch versuchte der BZP in letzter Minute mit der ver.di vor dem 01.01.2015 einen Tarifvertrag für das Taxengewerbe abzuschließen. Jedoch ließ sich die Gewerkschaft nicht auf eine Übergangslösung mit herabgesetztem Stundenlohn und stellte ihrerseits berechtigte Forderungen an den BZP für eine Kompensation. Die Tarifverhandlungen scheiterten nach nur einem Tag Verhandlungsdauer.
Und was taten die Unternehmer unterdessen? Nichts! Wohin man hörte, überall dieselbe Aussage: Wir können den ML nicht zahlen. Nicht ein Taxenbetreiber, der sich ernsthaft Gedanken gemacht hätte, wie er seine Mitarbeiter legal bezahlen kann. Im Gegenteil: wer auf Bezahlung des ML bestand, musste mit Kündigung rechnen, was auch passierte. Und so endete das Jahr 2014 für die Fahrerschaft mit der Gewissheit, dass der gesetzlich vorgeschriebene ML für sie de facto eine Wunschvorstellung bleiben würde.
Ein Quartal später, hat die IG Bremer Taxifahrer die in ihrer Art bislang einmalige und größte bundesdeutsche Umfrage zur Umsetzung des ML im Taxengewerbe unter ihren Mitgliedern durchgeführt. Es spricht für sich, dass bisher keine andere gesellschaftliche Gruppierung einen Anlass sah, den Fortgang der Umsetzung des ML zu überprüfen. Die Politik als Initiator des ML ebenso wenig wie die etablierten Gewerkschaften.
Offensichtlich scheint man sich auf politischer Ebene mehr mit den Pseudo-Klagen der Wirtschaft über die Dokumentationspflichten zu beschäftigen, als mit der konsequenten Durchsetzung der gesetzlichen Verpflichtung zur Zahlung des ML.
Das Umfrageergebnis (siehe Grafik) ist leider so erschreckend, wie es die Äußerungen in zahlreichen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen erwarten ließen. Es offenbart sich ein eklatantes Defizit bei den Unternehmern in Bezug auf die Bereitschaft zu legaler Arbeitsweise wie auch bei der sozialen Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern.
Dass von den Befragten nur knapp 23% über einen schriftlichen Arbeitsvertrag verfügen, ist dabei noch das geringste Übel. Sehr viel schwerer wiegt die Tatsache, dass 90% der Teilnehmer angaben, den ML nicht zu bekommen. Diese erstaunlich hohe Zahl lässt darauf schließen, dass die Unternehmerschaft sich der Gefährlichkeit ihres Verhaltens nicht bewußt ist oder das Risiko aufgrund behördlicher Kontrollen "erwischt" zu werden als eher gering einschätzt. Dabei scheint die Kontrollpraxis der Vergangenheit diese Einschätzung zu bestätigen.
Offensichtlich fühlen sich die Unternehmer derart sicher, dass sie nicht einmal davor zurück schrecken, ihre Mitarbeiter zu nötigen, die Dokumentation der täglichen Arbeitszeit zu manipulieren. Jeweils über 78% der Umfrageteilnehmer gaben an, eine geringere Zahl an Arbeitsstunden zu dokumentieren als sie tatsächlich geleistet haben und dazu von ihren Arbeitgebern angewiesen worden zu sein. Unter dem Eindruck eines drohenden Arbeitsplatzverlustes bei Weigerung fügen sich die Fahrerinnen und Fahrer und tragen damit zur Umgehung des ML notgedrungen bei. Durch die bewussten Falschangaben auf den Schichtzetteln entstehen auf diese Weise gesetzeskonforme Lohnabrechnungen.
Als Schlußfolgerung des Umfrageergebnisses muss festgestellt werden, dass dieser Teufelskreis aus unter Druck stehenden Fahrerinnen und Fahrern und unseriös bzw. illegal operierenden Unternehmern nur durch massiv erhöhten und in die Tiefe gehenden Kontrolldruck seitens der zuständigen Behörden unter konsequenter Anwendung der zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel durchbrochen werden kann. Dazu gehört zwingend eine umgehende Aufstockung des für den genannten Zweck erforderlichen Personals bei den beteiligten Behörden. Ebenso wichtig ist daneben eine Sensibilisierung der Politik für die beschriebene Problematik. Ohne deren Einflussnahme wird der ML in unserem Gewerbe nicht realisiert werden können.
Die Umfrageergebnisse (siehe PDF zum Download oben) dürfen ausdrücklich frei kopiert, weiterverbreitet, ausgedruckt, austeilt und insbesondere wiederveröffentlicht werden, auch kommerziell, wenn sie unverändert und ungekürzt übernommen werden. Bitte setzen sie dazu einen Hyperlink zu dieser Seite oder zur Startseite der IG Bremer Taxifahrer.