Sanktionen „bei der Funkvermittlung dienen der wirtschaftlichen
Existenz der Solidargemeinschaft aller Taxifahrer und der
Gerechtigkeit bei der Verteilung von Fahraufträgen“
"Fahraufträge sind quasi Geschenke"
Rechtswidriger Vertrag nun doch gültig
Nach Auffassung des Oberlandesgerichtes Bremen ist es rechtmäßig, wenn die Bremer Vermittlungsstelle Taxifahrer bei Nichtannahme eines Auftrages sanktioniert. Vorstandsmitglied der IG
Bremer Taxifahrer Marco Bark begehrte vor Gerichten die Feststellung, dass die Taxizentrale, die nicht Arbeitgeber der Fahrer ist, nicht zum Androhen oder Verhängen von Sanktionen gegenüber dem
Fahrpersonal berechtigt ist. Abgeschafft werden sollten nach Ansicht des Fahrervertreters Bark nun auch die „Sperrkaskaden“, bei denen Fahrer von der Vermittlung von Fahraufträgen ausgeschlossen
werden, wenn sie für die Zentrale nicht verfügbar sind. Im erstinstanzlichen Urteil bekam der Fahrervertreter recht ("Gericht verbietet Funksperren" - LG-Urteil
im Volltext). Der Unternehmerverein beantragte Revision und nun wurde die Klage vom OLG abgewiesen: Die „Beschränkungen bei der Funkvergabe“ seien keine Verletzung der vertraglichen Pflichten
des TR und dienten der „wirtschaftlichen Existenz der Solidargemeinschaft aller Taxifahrer“. Eine Revision ist nunmehr nicht möglich. (Urteil vom 09.09.2015, Geschäftszeichen 1U 20/15)
Die Darstellung des Sachverhaltes durch das OLG Bremen stützt sich im Wesentlichen auf die nicht bewiesenen und falschen Behauptungen des beklagten Taxi-Ruf (TR) sowie eigener, unrichtiger und nachweislich wahrheitswidriger Annahmen des OLG über die tatsächliche Funkvermittlung beim TR. Die üblichen Vorträge von Ingo H., Vorsitzender des Taxi-Ruf, dass „beispielsweise“ eine „Oma Meyer aus dem Steintor, mit Defiziten in der Körperhygiene“ zu lange auf ein Taxi warten müsste und daher Sanktionen (später in „Regeln“ umbenannt) von Fahrern notwendig seien, wurden vom OLG gar nicht erst hinterfragt – während sie vom Landgericht noch als „substanzlos“ erkannt wurden.
So ging das Gericht auch von einer tatsächlichen „Gleichbehandlung aller Taxifahrer“ bei der Fahrtenvermittlung aus, die es zu schützen gelte, und starken Nachteilen für die Kunden, die nur durch
den Ausschluss einzelner Fahrer von der Funkvermittlung vermieden werden könnten. Es entstünden den vom Funk gesperrten Taxifahrern dabei selbst keine Nachteile. Die Unterstellung, bei dem
Taxengewerbe handele es sich um eine „Solidargemeinschaft“, die durch die Sanktionen geschützt werden müsse, ist realitätsfern und entbehrt jeglicher Grundlage. Auch die unterstellte
grundsätzliche "Gleichbehandlung aller Taxifahrer" wurde vom TR auch niemals beabsichtigt. Juristisch ausgedrückt ist dies eine von mehreren "sachfremden Erwägungen", auf denen das Urteil
fußt.
Die Funksperren wurden und werden jedoch – auch in der mündlichen Verhandlung - explizit vom TR als Verein von Arbeitgebern selber „Sanktionen gegen [angestellte] Taxifahrer“ genannt. Mit diesen
Sanktionen möchte der TR verhindern, wie er selber vor Gericht erklärte, dass sich Taxifahrer, im Allgemeinen mit Provision vom Umsatz bezahlt, lukrative Fahraufträge aussuchen, wenn sie nach
Wartezeit an der Reihe für die Zuteilung einer Fahrt sind. Daneben gibt es aber noch eine Vielzahl von anderen, legitimen Gründen, warum die vom Computer automatisch zugeteilten Aufträge vom
Fahrer nicht immer ausgeführt werden können und der Fahrer diese dann seinen Kollegen zur Verfügung stellt.
Sanktionen sind arbeitsrechtliche Maßnahmen, die dem Arbeitgeber auf Grundlage eines Arbeitsvertrages obliegen und für die dem TR als Verein die notwendige Legitimation fehlt. Mit einer Aushebelung des Arbeitsrechtes über den Umweg des Vereins aus Arbeitgebern, in dem angestellte Taxifahrer nicht als Mitglieder aufgenommen werden, wird der Kläger deutlich schlechter gestellt. Obwohl sich die Klageschrift und das erstinstanzliche Urteil auf den Sanktionscharakter und die Aushebelung des Arbeitsrechtes bezog, ging das hanseatische OLG darauf nicht ein.
Der verhandlungsführende Richter verdeutlichte in der mündlichen Verhandlung bereits zu Beginn, dass er der Klage ablehnend gegenüberstehe. Der Richter: Ohne einen Vertrag mit dem Taxi-Ruf habe
ein Taxifahrer beim Taxi-Ruf gar keinen Rechtsanspruch auf Zuteilung eines Fahrauftrages und könne daher auch nicht gegen die Vorenthaltung von Fahraufträgen klagen. Der Vorsitzende Richter
machte seine Auffassung über das Verhältnis der Taxifahrer zur Taxizentrale folgendermaßen deutlich: Es handele sich seiner Meinung nach bei den Fahraufträgen der Zentrale „quasi um Geschenke“ an
die Taxifahrer, die rein einseitig ausgegeben würden und jederzeit verweigert werden dürften. Eine Anspruchsgrundlage des Klägers, „und damit auch einen Klagegrund“, -ohne Vertrag- sähe er nicht,
ohne Verhandlungsspielraum. Das Landgericht urteilte erstinstanzlich, dass es neben der Mitgliedschaft des Arbeitgebers, die zur Teilnahme am Funk berechtigt, keinen weiteren Vertrag
zwischen dem Verein und einem angestellten Fahrer bräuchte, um diesen zur Teilnahme an der Funkvermittlung zu berechtigen. Dennoch folge auch aus dem Gestattungsvertrag die Anspruchsgrundlage des
Fahrers.
Dass jemand, auch Mitglieder, zur Abnahme eines „Geschenks“ mit negativen Sanktionen bewegt werden muss, offenbart den logischen Fehler des Senats. Selbstverständlich zieht auch (oder gerade) der
Taxi-Ruf Bremen einen wirtschaftlichen Nutzen aus der Abnahme der Fahraufträge durch Taxifahrer, denn mit der Vermittlung und insbesondere Abrechnung von bargeldlosen Fahrten erzielt er
nachweislich den größten Teil seiner Einnahmen. Ohne Abnahme dieser Fahraufträge entfällt die Existenzgrundlage des Vereins, vulgo: auch das Gehalt des Zentralenleiters Ingo H. Es handelt sich
also mit oder ohne schriftlichen Vertrag unzweifelhaft um ein Rechtsgeschäft, aus dem für beide Seiten Pflichte und Rechte (auch gem. § 280 BGB) resultieren und dass seit vielen Jahren
praktiziert wurde.
Aber da der Senat das eigentlich offensichtliche Rechtsgeschäft nicht erkennen wollte, benötigte er für die bereits vorher feststehende Klageabweisung einen gültigen, schriftlichen Vertrag als
Grundlage für die Sanktionen. Folgerichtig wurden die erheblichen und begründeten Zweifel an der generellen Gültigkeit des Gestattungsvertrages vom ersten Zivilsenat des hanseatischen
Oberlandesgerichtes in Bremen nicht weiter behandelt.
Der klagende Fahrer verweigerte seinerzeit die regelmäßig vom TR geforderte Wiederholung Unterschrift, weil bereits klar wurde, dass dieser grobe Rechtsmängel enthält, woraufhin der TR den alten
Vertrag einseitig weiterlaufen ließ. Der Richter erklärte den streitigen und vom Kläger nicht unterzeichneten „Gestattungsvertrag“ kurzerhand als gültig, obwohl der Vorsitzende
Richter selbst darauf hinwies, dass dieser den Kläger -wahrscheinlich unzulässig- benachteilige. Denn hierin würde sich ein unterzeichnender Fahrer der "Sanktionsgewalt unterwerfen" - sinngemäß
äußerte der Senat: Wenn Taxifahrer soetwas unterschreiben, haben Sie eben Pech gehabt. Rechtlich zu vertreten ist dieser Standpunkt nach der Ausarbeitung des Einzelrichters am Landgericht nicht
mehr.
Zu anderen Gelegenheiten erwiesen sich die „Gestattungsverträge“ bereits als nichtig, da sie quasi zwangsweise geschlossen wurden; selbst der TR nahm bereits Abstand von den massenweise
geschlossenen Zwangsverträgen. Es kann nämlich nicht von einer freien Willensentscheidung ausgegangen werden, wenn ohne die Unterzeichnung z.B. der Arbeitsplatz gefährdet ist, wenn er
Voraussetzung für die Teilnahme am Funkvermittlung. Das Landgericht sah zudem in eine unangemessene Benachteiligung der Taxifahrer durch den eigentlich überflüssigen Vertrag. Der Taxi-Ruf sei
bereits dem Taxiunternehmer die Teilnahme am Funkverkehr schuldig und verlange nun für diese Leistung einen zusätzlichen Vertrag von den Taxifahrern, der gleichzeitig deren Rechte stark
beschneide. Auch durch die Umfassung von Sanktionen würde Arbeitsrecht ausgehebelt und deshalb würden die Verträge einer rechtlichen Überprüfung auch deshalb nicht standhalten würden.
Nun als ergäbe sich, so urteilte das OLG, aus dem so genannten -angeblich also doch bestehenden- „Gestattungsvertrag“ ein Rechtsanspruch auf „Andienung“ von Fahraufträgen. Dieser Rechtsanspruch
könne zwar nicht „beliebig eingeschränkt oder aufgehoben werden,“ er sei aber „umgekehrt nicht voraussetzungs- und schon gar nicht schrankenlos“; definierte das Gericht kurzerhand die Lage neu.
Das Landgericht beschäftigt sich in seiner Begründung eingehender: Der Fahrer müsse bereits Beschränkungen hinnehmen, die eine sinnvolle und Fahrtenvermittlung für alle sicherstellen sollen. Der
zeitweise Ausschluss von der Vermittlung bewirke aber den Nachteil für den Fahrer, dass er Fahraufträge, die ihm nach diesen Kriterien zugeteilt werden müssten, nicht mehr bekommt. Dabei ginge es
nicht um einen konkreten Verdienstausfall, sondern dies sei eine Rechtsbeeinträchtigung, die jedesmal unabhängig von den Gründen für die Nichtannahme einer Tour (z.B. kurze Abwesenheit) einträte.
Die Argumentation, dass der Verdienstaufall nicht erheblich oder nicht bewiesen wurde, spielte dewegen erstinstanzlich auch keine Rolle.
Nicht so das OLG in zweiter Instanz: Die getroffenen Regelungen seien für den Taxifahrer wirksam. Mit einem bestehenden Gestattungsvertrag zwischen Taxifahrer und der Zentrale habe sich der
klagende Taxifahrer „unterworfen“, da in dem Vertrag die Klausel „...erkennt die Betriebsordnung in ihrer jeweiligen Fassung an“ mit umfasst. Damit würden die Regelungen auch für Taxifahrer, die
weder Angestellte noch Mitglieder des Taxi-Ruf sind, maßgeblich – Die Regelungen beruhen auf erheblichen nachträglichen Änderungen der Betriebsordnung des Vereins im Jahre 2014, während der
Gestattungsvertrag zunächst 2008 geschlossen und bis 2011 befristet gültig war, 2011 zuletzt ohne Unterschrift des Klägers vom TR einseitig verlängert wurde. Das Landgericht bemängelte, auch
hier, dass eine derartige „Unterwerfung“ nicht verbindlich sein könne, da der Kläger diese Regelungen weder 2008 noch 2011 kennen konnte. Außerdem führt das Landgericht erhebliche rechtliche
Mängel der Sanktionsordnung an und kommt zu dem Schluss, dass diese nicht legitimierbar sei, und selbst wenn der Fahrer sich "unterworfen" hätte, hinfällig wäre.
Ein Ausschluss aus der Funkvermittlung stellte auch keine „Pflichtverletzung“ dar. Das OLG unterstellt hier aber „Gleichbehandlung“ unter den teilnehmenden Fahrern bei der Verteilung von
Funktouren als Voraussetzungen für die Funkordnung - Irrtümer, die der Vorsitzende Richter nicht zuließ zu berichtigen. So hätte es denn erfahren können, dass z.B. Vereinsmitglieder
(Taxi-Unternehmer) selber, gerade nicht von den Sanktionen betroffen sind und dass ein Großteil der lukrativen Touren gar nicht mehr über Funk vergeben werden. Eine – gleichzeitig unterstellte -
Gerechtigkeit bei der Verteilung von Fahraufträgen erhielte das Vermittlungssystem am Leben, begründet das Gericht stattdessen sein Fehlurteil. (s. hierzu auch: Vertragswidrige Tourenvergabe beim TR)
Weiter zitiert das OLG die Betriebsordnung des von großen Taxenbetrieben dominierten Vereins und behauptet, dass die umstrittene Sanktionierung angestellter Taxifahrer notwendig sei für die
„wirtschaftliche Existenz der" [dem abstrakten Leitbild der jahrzenhntealten Betriebsordnung des TR entliehenen] "Solidargemeinschaft aller Taxifahrer“. Die Grundlage für diese falschen
Behauptungen liefert das hanseatische OLG weder mündlich noch schriftlich. Wodurch das Gericht zur Annahme einer tatsächlich existierenden "Gerechtigkeit" bei der Tourenvergabe evoziert wurde,
bleibt vollständig unklar - nicht mal der Taxi-Ruf selber hat dies jemals versucht geltend zu machen. Es wäre dank der hastigen Verhandlungsführung auch nicht in der Lage gewesen, den Widerspruch
zwischen der Gemeinschaft der Taxifahrer und des beschließenden und sanktionierenden Vereins der Taxiunternehmer zu unterscheiden.
„Die Regeln“ seien zudem nach „für den Kunden sinnvolle Kriterien“ erstellt, und der Zivilsenat elaboriert, dass die Regularien von den Mitgliedern, also i.d.R. Arbeitgeber der klagenden
Taxifahrer, [demokratisch] beschlossen und „die Belange aller Beteiligten“ abgewogen worden wären. Auch der letzte Satz wird nicht belegt. Die rechtlichen Defizite hinsichtlich
demokratischer Verfasstheit des Vereins konnte der Senat nicht kennen, offenbar ebenso wenig wie er selbst die Belange der Kunden kennt. Es wäre daher in seiner Sorgfaltspflicht gewesen, darüber
nähere Informationen einzuholen. Die fast vollständige Abwesenheit von arbeitsrechtlichem Schutz im Taxigewerbe war ihm bekannt: dass auch der Kläger keinen schriftlichen Arbeitsvertrag besitzt,
war bekannt.
Obwohl dem Gericht die Verfahrensbeschreibung bekannt war, und zudem in der mündlichen Verhandlung die Auswirkungen beschrieben wurden, wird in der Klageabweisung wahrheitswidrig geschrieben,
dass es sich stets nur um eine zeitliche Verzögerung von fünf Minuten im Arbeitsablauf handele. Das widerspricht sogar der schriftlichen Tatsbestandsbeschreibung der Urteilsbegründung direkt. Die
Richter schließen ohne weitere Einlassung daraus, dass dieser „geringfügige Nachteil […] ohne weiteres zumutbar“ sei. Für das Gericht anscheinend „liegt es auf der Hand“, dass ein gesperrtes Taxi
zur Beschleunigung des Vermittlungsvorganges führe und somit im Sinne des Kunden sei (weil es dann nicht „angefragt“ werden müsse). Dass es ohnehin bereits, teils durch schlechte Organisation
aber teils auch gewollt (z.B. "Paging"-Funktion), in der Vermittlung zu Verzögerungen kommen kann, fand wohl auch aufgrund der Verhandlungsführung des schlecht vorbereiteten Gerichts keine
Erwähnung.
Während das Landgericht erstinstanzlich einen Widerspruch darin sieht, dass einerseits Sanktionen laut Betriebsordnung und Satzung nur gegen Vereinsmitglieder ausgesprochen werden können, andererseits aber hier eben genau dagegen Verstoßen wird, schreibt das OLG ohne jegliche weitere Grundlage dazu: „[Es] ist nicht feststellbar, dass die angegriffene Regelung den Interessen der Gesamtheit der Mitglieder und Vertragspartner widerspricht [...]“ und lässt hier außerdem die Interessen des angestellten Fahrpersonals, zu denen der Kläger gehört, außen vor, denn „Vertragspartner“ des TR sind Unternehmen, die keine stimmberechtigten Mitglieder des Vereins Taxi-Ruf sind, sondern einen gesonderten Vertrag abgeschlossen haben.
Wie mittlerweile inoffiziell zu erfahren war, ist durch die Sanktionspraxis genau das Gegenteil eingetreten von dem, wozu sie dienen sollten. Anstatt dass einige Fahrer die Touren wieder "zurückgeben" und dafür einen empfindlichen Nachteil in Kauf zu nehmen, meldet ein größer werdender Teil der Fahrer beim Taxi-Ruf Bremen nun die Ausführung, ohne tatsächlich zur Bestelladresse zu fahren. So bekommen die Kunden nun gar kein Taxi mehr und müssen telefonisch reklamieren, so sie denn überhaupt eine freie Leitung erwischen.